Die leuchtenden Sonnenstrahlen versinken im glasklaren türkisen Wasser. Für einen Samstagvormittag scheint die Sonne schon ungewöhnlich stark. Mein Blick schweift zu einem älteren Ehepaar, welches auf der anderen Seite des kleinen Gewässers auf einer alten, abgenutzten, grünen Parkbank sitzt, und die schneeweiße Schwanenfamilie füttert. Die Senioren tragen beide bunte, höchstwahrscheinlich selbstgenähte Masken, genauso wie ich.
Seit Beginn des Ausnahmezustandes sieht man überall die unterschiedlichsten Arten von Mundschutz. Gestern zum Beispiel war ich mit meiner vierköpfigen Familie einkaufen, dort sah ich Verkäuferinnen mit einer ,,Glasscheibe” vor ihren ovalen Gesichtern, welche mit schwarzen Gummibändern befestigt waren. Langsam erhebe ich mich und schlendere entspannt über den weißen Kiesweg von meiner robusten Holzbank zum Wasser. Wunderschöne rosarote Seerosen zieren das Seeufer und sie erinnern mich irgendwie an meine Freunde. Der Gedanke an sie versetzt mir einen Stich. Seit ich nicht mehr die Schule, welche wegen der Ansteckungsgefahr geschlossen ist, besuchen kann, vermisse ich meine Freunde wirklich. In Momenten wie diesen merke ich, wie sehr ich sie und das Miteinander brauche. Vorsichtig strecke ich meine Finger in das eiskalte Wasser. Trotz der starken Sonne ist es noch sehr kühl und Kälte breitet sich in mir aus. Schnell stehe ich wieder auf. Jetzt, wo alle Krankenhäuser so viel zu tun haben und die Ärzte rund um die Uhr arbeiten müssen, will ich, um Gotteswillen, nicht auch noch mit einer Lungenentzündung daherkommen!
Kurze Zeit später wagen sich die Schwäne an meine Seite des Ufers. Erst bemerke ich sie gar nicht, doch dann stiehlt sich ein zufriedenes Lächeln auf mein Gesicht. Eine gute Sache gibt es ja doch an der ganzen Misere: Dadurch, dass der Handel und der Reiseverkehr so gut wie gar nicht mehr existieren, da die Grenzen geschlossen sind, hat die Natur die Chance, sich wieder zu erholen. Vor Kurzem habe ich in der Zeitung ein Foto gesehen, wo lauter Fische und Delfine in der Lagune von Venedig schwimmen. Der Gedanke daran lässt mich schmunzeln und gelassen spaziere ich den Parkweg weiter entlang und genieße die klare, frische Morgenluft, die mich an die raue Luft nach einem Gewitter erinnert. In der Mitte des kleinen Parks erspähe ich zwischen zwei weiß-rosa blühenden Kirschbäumen ein zierliches, antik aussehendes Café. Traurigerweise ist es menschenleer und geschlossen. Noch ein Nachteil der Coronazeit, die ganze Gastronomie, Hotels, nicht dringend benötigte Geschäfte, aber auch alle Veranstaltungen sind geschlossen bzw. abgesagt.
„Ring, ring, ring,” eilig werfe ich einen Blick auf mein Handy. „Oma“ steht in dicken, fetten, schwarzen Buchstaben am Display. Ich muss schlucken. Am allerschlimmsten ist es, dass ich meine Großeltern nicht mehr sehen kann, da sie zu der ,,Risikogruppe” gehören. Covid-19 ist so etwas Ähnliches wie eine Grippe. Es ist sehr gefährlich und führt zu schweren Krankheitsverläufen, im schlimmsten Fall sogar zum Tod! Deshalb müssen wir Oma und Opa unbedingt schützen. Mit einem beklemmenden Gefühl stecke ich mein Handy wieder weg und beschließe, meine Großmutter später zurückzurufen. Aufgewühlt werfe ich einen Blick auf meine filigrane, graue Armbanduhr. Scheibenkleister! Ich bin schon viel zu spät zu meiner Klavierstunde dran! Gehetzt drehe ich mich um und eile den Weg entlang nach Hause.